„VON SCHABBAT ZU SCHABBAT – JÜDISCHES LEBEN IN DEUTSCHLAND“ (RUNDSCHREIBEN VOM 15.07.2020)

An unsere
jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie Mitglieder und Interessenten

Liebe jüdische Freunde,
sehr geehrte Damen und Herren,

die besorgniserregenden Nachrichten aus den Spannungsgebieten der Welt verflechten sich mit den täglichen Meldungen über die wechselhafte Entwicklung von COWID-19 mehr und mehr zu einem Netz von Verunsicherung und Ratlosigkeit.
Auf die positive Aussicht, die Pandemie allmählich in den Griff bekommen zu haben, folgen mancherorts postwendend bittere Rückschläge durch neue Infektionsschübe. Auf Hoffnung folgt Enttäuschung.

Auch in Israel, wo man nach Ausbruch der Krise durch kluge Steuerung des Lockdowns die Ausbreitung der tödlichen Gefahr zunächst sehr gut kontrolliert zu haben schien, hat eine zweite Welle die Regierung zu verschärften Restriktionen gezwungen.

Doch nicht nur der Kampf gegen das heimtückische Virus macht Israel zu schaffen.
Eine erschreckende Front von antisemitischen und islamistischen Verschwörungstheorien und irrsinnigen Mythen in den sozialen Netzwerken, die die Juden für die Entstehung der globalen gesundheitlichen Bedrohung durch das Corona-Virus und andere absurde Szenarien verantwortlich machen, sind unerträglich.

Eigentlich dürften wir solchen Thesen allein aus Gründen der Vernunft keinerlei Beachtung schenken, eher sollten wir sie kopfschüttelnd in das Reich verirrter Fanatiker versenken. Doch leider steckt hinter diesen dumpfen Strömungen keine „nur“ epochale gesellschaftliche Randerscheinung, sondern vielmehr eine hochgefährliche Ausweitung von Antisemitismus und Extremismus. Schon längst möchten wir sie aufgrund der bitteren Erfahrungen aus unserer historischen Vergangenheit endgültig ausgelöscht wissen.

Antisemitische Attacken, Beleidigungen, Schmierereien und Gewalttaten haben jedoch zugenommen. Jüdische Einrichtungen und Synagogen müssen verstärkt geschützt werden. Und bemerkenswert ist, dass sich der antisemitische und extremistische Hass in Deutschland heute besonders unverhohlen in den Regionen entfaltet, in denen keine oder nur relativ wenige Juden und Muslime leben.

Da deutsche Strafvollzugsbehörden Antisemitismus „an sich“ nicht als Straftat, sondern die aus ihm entstehenden kriminellen Handlungen als strafbar bewerten, werden nicht die Ursachen strafrechtlich belangt, sondern die aus ihnen erwachsenen, möglichen tragischen Folgen.

Die Zahl antisemitischer Straftaten steigt signifikant an.
Immer mehr Antisemiten verstecken ihre wahre Gesinnung hinter vermeintlicher Israel-Kritik.
Obwohl beides sachlich nicht miteinander vermischt werden sollte, offenbart eine größer werdende Zahl antijüdisch gesinnter Menschen bei genauerer Analyse ihrer Äußerungen ein Konglomerat von undefinierbaren und unreflektierten Gefühlen sowie durchschaubaren, oft von nationalistischen Hardlinern übernommenen Scheinargumenten.

Antisemitismus ist ein schleichendes Gift. Es ist permanent und konsequent zu bekämpfen. Selbst 75 Jahre nach dem Holocaust ist es nicht ausgerottet, vielmehr hochgefährlich.
Aus welcher Ecke Antisemitismus auch kommt, er darf bei Niemandem und nirgendwo durchgelassen werden.

Wir haben allen Grund, gerade heute, am 70. Jahrestag der Gründung des Zentralrates der Juden in Deutschland in Frankfurt a. M., Ihnen, unseren jüdischen Freunden, dafür zu danken, dass Sie trotz spürbaren Hasses und Diskriminierung, stupider Anschuldigungen und gezielter Provokationen durch innere Stärke, Geduld und friedvolles Verhalten das Zusammenleben in unserem Land fördern.

Anlässlich der diesjährigen, bundesweiten Aktionswoche Von Schabbat zu Schabbat – Jüdisches Leben in Deutschland“ sollen Sie wissen, dass wir uns freuen, dass Sie unser Leben bereichern, dass Sie uns an unsere Verantwortung für Ihre Sicherheit und unsere gemeinsame Freiheit erinnern, und dass Sie nach den furchtbaren Ereignissen der Vergangenheit überhaupt unter uns sind.

Der Deutsch-Israelische Städtepartnerschaftsverein „Freundeskreis Be’er Sheva“ verpflichtet sich zur Beachtung der uns verbindenden gesellschaftlichen, menschenrechtlichen, sozialen und religiösen Werte.

Wir werden alles in unserer Kraft stehende tun, dem Antisemitismus und Extremismus wirksam zu begegnen und ihm im öffentlichen und privaten Bereich keinen Raum zu lassen. Wir wollen dafür eintreten, dass Antisemitismus und Extremismus kompromisslos geächtet werden.

Ungeachtet der politischen Entwicklungen und ihrer Bewertungen stellen wir uns der Verpflichtung, die wir als Nachfolgegeneration des Holocausts für ein sicheres und freies Leben unserer Jüdischen Mitbürger*innen zu tragen haben.

Dies gilt vornehmlich für alle Angehörigen der Jüdischen Gemeinde, die in der Bergischen Synagoge in Wuppertal ihre Heimstatt haben und mit denen wir uns besonders verbunden fühlen.

Wir werden nichts vergessen, verdrängen und verschweigen.
Wir werden die Erinnerung an das grausame Verbrechen der Nationalsozialisten wachhalten.

Wir gehören zusammen!
Herzlichen Gruß, im Namen des Vorstandes, und Shalom

Arno Gerlach

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